Zu viel Platz für Bus: Höchstgericht kippt Halteverbot
Wiener Magistrat beschränkte den Individualverkehr unnötigerweise.
Wien. Aus dem einstigen Vorhaben des weltbekannten Verpackungskünstlers Christo, den Flakturm im Wiener Esterházypark einzuhüllen, ist bis heute nichts geworden. Im Schatten des Turms, der jüngst für das Haus des Meeres einen Glaszubau erhalten hat, ist jetzt aber eine Verpackung der anderen Art zu bestaunen: Ein Verkehrszeichen vor dem Haus Windmühlgasse 30 wurde mit schwarzer Kunststofffolie umwickelt.
Das Motiv dieser Aktion war freilich kein künstlerisch-ästhetisches, sondern ein juristisches: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat das mit der kreisrunden Tafel angezeigte Halteverbot als gesetzwidrig aufgehoben. Der Grund: Linienbusse, die die Gasse durchfahren, benötigen den Platz, den die Wiener Linien wegen der leichten Kurve an dieser Stelle reklamiert hatten, gar nicht.
Den Anlass für die Entscheidung des Höchstgerichts bot der Wiener Rechtsanwalt Erwin Dirnberger, und das ist kein Zufall: Dirnberger hat seine Kanzlei genau in der Windmühlgasse 30, und als er einmal kurz vor dem Haus hielt, um etwas auszuladen, wurde er bestraft. Er legte dagegen Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht Wien ein, und dieses folgte seiner Anregung, den VfGH anzurufen. Denn anders als in der Straßenverkehrsordnung geboten, sei das Halteverbot nicht erforderlich. Und deshalb sei es illegal.
Die Vorgeschichte: Am 11. November 2013 hielt die Magistratsabteilung 46 eine Ortsverhandlung ab, um sich ein Bild von der Verkehrssituation zu machen. Denn die Busse der Linien 13A und N71 (Nachtbus) sollten durch die Windmühlgasse fahren. Für den inneren Bereich der Kurve vor den Häusern 30 bis 28 – die Gasse ist eine Einbahn stadteinwärts – sollte statt einer Schrägparkzone eine Längsparkordnung markiert werden. Das muss genügen, wie eine Schleppkurvensimulation zur Berechnung des Platzbedarfs durchfahrender Busse ergab. „Bei Zwei-Meter-Längsparkordnung konnte auch kein sinnvoll wirksamer Halteverbotsbereich ermittelt werden“, heißt es in den Unterlagen zur damaligen Verhandlung.
Also ordnete der Magistrat zunächst zwar Längsparken an, aber kein Halteverbot – obwohl die Wiener Linien sich für ein solches ausgesprochen hatten, „damit keine Busse bei schlecht parkenden Fahrzeugen stecken bleiben“. Dann änderte der Magistrat die Parkordnung doch ab und verfügte das Halte- und Parkverbot auf der stadteinwärts gesehen linken Straßenseite, im Kurveninneren. Mit der Folge, dass zum Beispiel Anwalt Dirnberger mit 78 Euro Geldstrafe belegt werden konnte, als er dort sein Auto abgestellt hatte.
Interessenabwägung gefordert
Auf Dauer hat die Strafe jedoch keinen Bestand. Der VfGH verlangt von den Behörden generell, vor Erlassung verkehrsbeschränkender Verordnungen die Interessen an neuen Verboten mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die tatsächliche Bedeutung des Straßenzugs zu berücksichtigen. Was aber könnte für Verkehrsbeschränkungen sprechen? Das Gesetz nennt die Kriterien für die gebotene Interessenabwägung: die Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße oder eines Gebäudes oder Gebiets und auch die Sicherheit von Personen, die sich dort aufhalten. Bei alldem muss sich eine konkrete Situation schon erheblich von jener anderer Straßen unterscheiden.
Vor diesem Hintergrund war nicht ausreichend belegt, dass das Halteverbot erforderlich war: „Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes kann aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht zweifelsfrei beurteilt werden, ob die angefochtene Bestimmung erforderlich ist“, sagt der VfGH (V 74/2019). Vielmehr spreche alles dafür, dass Längsparken mit maximal zwei Metern Breite in der Innenkurve genügt, zumal kein Bereich der Gasse auszumachen war, in dem ein „sinnvoll wirksamer Halteverbotsbereich“ hätte festgelegt werden können.
Der VfGH hat deshalb das Halteverbot an dieser Stelle mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Seither ist die Tafel eingewickelt. Das Verwaltungsgericht muss das Strafverfahren gegen Dirnberger einstellen. Unabhängig davon haben die Wiener Linien übrigens die Streckenführung der Busse geändert. Derzeit fahren gar keine Öffis durch die Windmühlgasse.
(Mit freundlicher Genehmigung der Tageszeitung „Die Presse“ und Benedikt Kommenda. Der Artikel wurde am 10.02.2020 veröffentlicht.)
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