Stolperfalle Urheberrecht: Ein Buch vorlesen kann teuer kommen
Ein Schauspieler veröffentlichte auf YouTube eine Lesung aus dem Werk Franz Karl Ginzkeys, des wegen seiner NS-Vergangenheit umstrittenen Autors von „Hatschi Bratschis Luftballon“. Er hätte gut daran getan, vorher zu fragen.
Wien. Der österreichische Schauspieler und Regisseur Marcus Thill hatte während der diversen Corona-Lockdowns nichts anderes zu tun, als in seinem Haushalt aufzuräumen, wie wohl viele andere in diesen Zeiten auch. Dabei entdeckte er in seinem privaten Fundus das Kinderbuch „Florians wundersame Reise über die Tapete“ von Franz Karl Ginzkey.
Marcus Thill schmökerte in dem Buch und fand Gefallen daran. Er machte sich in der Folge Gedanken über den Autor, dessen Biografie mittlerweile ja nicht unumstritten ist, und über sein bekanntestes Kinderbuch „Hatschi Bratschis Luftballon“, das vor dem Hintergrund von Ginzkeys NS-Vergangenheit heute kaum noch unbefangen gelesen werden kann. Keine Gedanken machte er sich leider über das Urheberrecht.
Reise über die Tapete
Der Schauspieler war vom Buch fasziniert. Es gefiel ihm so gut, dass er sich entschloss, „Florians wundersame Reise über die Tapete“ vor der Kamera vorzulesen, die Lesung aufzunehmen und auf seine Website sowie auf YouTube zu stellen.
Das Buch ist zwar 1930 erschienen, der Autor aber erst 1963 verstorben. Also ist der 70 Jahre über den Tod fortdauernde urheberrechtliche Schutz seiner Werke noch aufrecht. Weiters ist dieses Buch in einer Neuauflage zuletzt 2014 erschienen, welche bis heute erhältlich ist. So kam es, wie es kommen musste.
Der Trans-World-Musikverlag, der das Werknutzungsrecht am Buch besitzt und wie Marcus Thill darauf verzichtet hat, bei der Schilderung dieser Episode anonym zu bleiben, wurde hellhörig. Er führt nämlich – wie wohl jeder Verlag, der die Interessen der Urheber oder dessen Erben ordentlich vertritt – im Internet regelmäßig Recherchen durch, um Urheberrechtsverletzungen feststellen zu können. Dies ist mit einer normalen Suche mit Google oder einer speziellen App, www.google.at/alerts, ohne Weiteres möglich. Die Suche war erfolgreich.
Daraufhin verlangte der Verlag vom Schauspieler ein „angemessenes Entgelt“ gemäß § 86 Urheberrechtsgesetz in Höhe von 3000 Euro; dazu gleich noch einmal so viel (gemäß § 87 Abs 3 Urheberrechtsgesetz), weil Thill nicht im Vorhinein um Erlaubnis gefragt hatte. Machte insgesamt also 6000 Euro.
6000 Euro gefordert
Für Thill, der dank seiner vielen Engagements in Theater, Film und Fernsehen zwar von seiner Arbeit gut leben kann, jedoch sicherlich nicht zu den wenigen Topverdienern seiner Branche zählt, waren diese 6000 Euro viel Geld. In seinem gesamten Leben hatte er bisher weder mit Anwälten noch mit Gerichten beruflich zu tun, sodass er sich in seiner Not an einen befreundeten Anwalt wandte: den Autor dieser Zeilen.
Wiewohl kein Urheberrechtsspezialist, musste der Anwalt schnell erkennen, dass die Forderung des Verlags dem Grunde nach zu Recht besteht: Die Lesung des gesamten Buches stellt eine Urheberrechtsverletzung dar. Die Veröffentlichung auf YouTube, welche für einen unbeschränkten Personenkreis zugänglich war, ging eindeutig über den zulässigen privaten Gebrauch hinaus. Lediglich über die Höhe der Forderung mochte man streiten können. Das kostet allerdings zusätzliches Geld, weil die Ermittlung der Höhe gar nicht so leicht ist. Will man vor Gericht ernsthaft darüber streiten, braucht man meist einen Sachverständigen.
Der Anwalt wandte sich daher direkt an den Chef des Verlags und hatte Glück, auf einen sehr verständnisvollen Verhandlungspartner zu treffen. Nachdem er ihm geschildert hatte, wie das Video entstanden war, gab sich der Verlag dann mit 1000 Euro statt der ursprünglich geforderten 6000 zufrieden.
Solche Probleme können für jeden entstehen, der unbedacht urheberrechtlich geschützte Werke auf seine eigene Website oder YouTube, TikTok, Facebook, Instagram etc. stellt, wobei Unwissenheit vor Rechtsfolgen nicht schützt. Besonders gefährlich sind Bilder bzw. Fotos, die ohne nachzudenken übernommen werden.
Ich rate daher jedem, die urheberrechtliche Problematik im Auge zu behalten. Im Internet gibt es sehr gute Informationen, die leicht zu recherchieren sind, wenn man richtig sucht (Achtung: österreichisches, nicht deutsches Urheberrecht ist anzuwenden!). Wenn man selbst nicht mehr weiter weiß und daran zweifelt, ob zum Beispiel die Verlinkung zu einem urheberrechtlich geschützten Musikstück oder Ähnliches problematisch sein könnte, sollte man eher darauf verzichten. Wenn es wichtig ist, sollte vorweg anwaltlicher Rat gesucht werden, was meistens günstiger kommt, als danach mit den Rechteinhabern zu streiten.
Ein poetischer Text
Selbst habe ich mir das Video natürlich im Rahmen der Abwicklung dieses kleinen Falls auch angesehen. Schade, dass mir in meiner Kindheit nur „Hatschi Bratschis Luftballon“ vorgelesen wurde. „Florians wundersame Reise über die Tapete“ ist eigentlich viel schöner und poetischer und hätte mir als Kind sicher noch viel besser gefallen.
(Mit freundlicher Genehmigung der Tageszeitung „Die Presse“ und Benedikt Kommenda. Der Artikel wurde am 23.12.2024 veröffentlicht.)
Das Buch „Florians wundersame Reise über die Tapete“ ist im gut sortierten Fachbuchhandel oder über nachfolgenden Link erhältlich: Florians wundersame Reise über die Tapete
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